Cannabisgesetz-Grenzwerte Cannabis am Steuer: Wie viel darf vor der Fahrt gekifft werden, ohne die Verkehrssicherheit zu gefährden?

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Kaum ist das neue Cannabisgesetz in Kraft, steht eine Änderung mit weitreichenden Folgen an. Der Bundestag hat Anfang Juni 2024 den Grenzwert für Cannabis-Konsum im Straßenverkehr heraufgesetzt. Doch der neue Wert ist umstritten. Nicht nur, weil drogenbedingte Unfälle zunehmen.

Nach den Lockerungen durch das Cannabisgesetz fragen sich viele zu Recht, ob es nicht auch eine Art Promillegrenze für das Kiffen geben müsste.
Nach den Lockerungen durch das Cannabisgesetz fragen sich viele zu Recht, ob es nicht auch eine Art Promillegrenze für das Kiffen geben müsste. - © Adin - stock.adobe.com/KI generiert

Bei Alkohol ist die Sache klar. Wer mit 0,5 Promille Blutalkohol erwischt wird, darf schon mal 500 Euro für das Bußgeld beiseitelegen, den Autoschlüssel für einen Monat an den Nagel hängen und sich freuen, dass sein Punktekonto in Flensburg um zwei Zähler anwächst.

Was viele nicht wissen: Schon ab 0,3 Promille kann man als „relativ fahruntüchtig“ gelten und sich strafbar machen. Zum Beispiel, wenn man alkoholbedingt einen Unfall verursacht und durch Torkeln oder Lallen auffällt. Für alle unter 21 Jahren, Fahranfänger sowie Bus- und Taxifahrer gilt eine 0,0-Promillegrenze.

Bekifft vorm Lenkrad? Kann das denn erlaubt sein?

Nach den Lockerungen durch das Cannabisgesetz fragen sich viele zu Recht, ob es nicht auch eine Art Promillegrenze für das Kiffen geben müsste. Und diese Frage ist keineswegs neu. Schon seit 1993 befassen sich Juristen, Mediziner, Toxikologen und Experten der Bundesanstalt für Straßenwesen in der Grenzwertkommission (GWK) mit Fragen der Regulierung von Rauschmitteln im Verkehr. 2002 hatte die GWK einen Grenzwert für Cannabis von 1,0 Nanogramm (ng) THC/ml Blutserum als Ordnungswidrigkeit festgelegt. Der wurde zwar nie gesetzlich festgeschrieben, hat sich aber in der Rechtsprechung durchgesetzt.

Gesucht: Verbindliche THC-Grenzwerte für den Straßenverkehr

Nun fordert das Cannabisgesetz in Paragraf 44 einen Vorschlag für verbindliche Grenzwerte bei THC; den wirksamsten psychoaktiven Wirkstoff im Cannabis. Da die GWK sich in dieser Frage nicht einig war, übergab der Verkehrsminister die Aufgabe einer neuen Arbeitsgruppe. Deren Vorschlag wurde nun von der Bundesregierung aufgegriffen und nennt:

  • einen Grenzwert von 3,5 ng THC/ml, das bedeutet 3,5 Nanogramm Tetrahydrocannabinol pro Milliliter Blut

  • einen niedrigeren Grenzwert von 1 ng THC/ml für – analog zum Alkohol – alle unter 21 Jahre und Fahranfänger in der zweijährigen Probezeit

Warum gerade der „krumme“ Wert von 3,5 ng? Bei diesem Wert sei – so die Expertengruppe – eineverkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Kraftfahrzeuges nicht fernliegend, aber deutlich unterhalb der Schwelle, ab der ein allgemeines Unfallrisiko beginnt.“ Die 3,5 ng THC sollen in etwa mit einer Wirkung von 0,2 Promille Alkohol vergleichbar sein. Dennoch sehen viele Experten die Entscheidung kritisch und prognostizierten einen weiteren Anstieg der durch Drogenkonsum bedingten Verkehrsunfälle.

Besonders brisant: Cannabis plus Alkohol

Für Cannabiskonsumenten wurde zudem ein absolutes Alkoholverbot am Steuer beschlossen. Denn bei Mischkonsum verstärken sich die Effekte der Rauschmittel gegenseitig. Auch die Nebenwirkungen nehmen zu, es kommt leichter zu Schwindel, Erbrechen und sonstigen Ausfallerscheinungen.

Unklare Studienlage: Deshalb werden sich die Experten nicht einig

Über eine uneinige Expertenrunde wird schnell gespottet. Doch sind die Fragen zu den Folgen eines Cannabiskonsums für die Verkehrstüchtigkeit auch von Fachleuten nicht leicht zu beantworten. Es gibt zwar Studien, laut denen ab etwa 3 ng THC/ml das Unfallrisiko steigt, aber insgesamt ist die Datenlage gerade für Gelegenheitskonsumenten eher dürftig. Dazu kommt:

  • Die Wirkungen eines Cannabiskonsums können individuell sehr unterschiedlich sein.

  • Eine Konzentrations-Wirkungsbeziehung ist für Cannabis nicht so einfach ableitbar wie bei Alkohol.

  • Die Aufnahmewege für Cannabis sind vielfältiger. THC-haltige Produkte werden nicht nur geraucht, auch gegessen, getrunken, verdampft oder inhaliert.

  • Bei eher seltenem Konsum wirkt THC stärker als bei häufigem Konsum.

  • Bei regelmäßigem Kiffen baut sich THC langsamer ab und ist im Blutserum noch mehrere Tage nach dem letzten Joint nachweisbar.

Gerade der letzte Punkt wird oft als Argument dafür genannt, den Grenzwert hochzusetzen. Denn wer etwa am Montagfrüh zur Arbeit fährt, kann vom Kiffen am Wochenende noch 1 ng THC/ml im Blut haben, ohne dass er verkehrsuntauglich wäre. Ein Bußgeld oder gar Fahrverbot wäre in diesem Fall unverhältnismäßig. Andererseits sind klare Regelungen vonnöten und das schließt unterschiedliche Grenzwerte für Gelegenheitskiffer und Dauerkonsumenten aus.

Null Alkohol und Null Cannabis bei Arbeit und Bildung

Alle Freigaben, Entkriminalisierungen und Grenzwertdebatten ändern nichts daran, dass niemand sich und andere durch Rauschmittel in Gefahr bringen darf. Bekifft, betrunken oder unter Medikamenteneinfluss – ohne klaren Kopf darf niemand ein Fahrzeug führen. Nicht nur der ADAC warnt davor, sich bekifft ans Steuer zu setzen. Auch die Berufsgenossenschaften setzen mit ihrem eindeutigen Slogan ein klares Signal: NULL Alkohol und NULL Cannabis bei Arbeit und Bildung.

Es bleibt dabei: Niemand darf berauscht ans Steuer

Das sollte auch in jedem Betrieb selbstverständlich sein. Und bei Steuer geht es nicht nur um Firmenfahrzeuge im Straßenverkehr. Auch wer einen Bagger oder Radlader, einen Gabelstapler oder eine Hubarbeitsbühne sicher bedienen will, muss zu 100 Prozent bei der Sache sein. Betriebsleiter sind gut beraten, für Ihren Verantwortungsbereich klare Regeln festzulegen.

Aufmerksamkeit runter und Reaktionszeit hoch? Das kann übel ausgehen!

Bevor ein Betriebsleiter damit liebäugelt, sein Image als „lockerer Chef“ weiter zu fördern, sollte er sich darüber im Klaren sein, dass Cannabis

  • die Wahrnehmung verändert, auch das Wahrnehmen von Gefahren

  • die Aufmerksamkeit und Konzentration herabsetzt

  • die Reaktionszeit verlängert.

In Situationen, wo Sekundenbruchteile über Leben und Tod entscheiden, kann auch „ein bisschen Kiffen“ den Ausschlag geben. Nicht nur auf der Autobahn, auch auf dem Gerüst, an der Kreissäge oder beim Hantieren mit Gefahrstoffen. Wo zwischen einem Arbeitsunfall mit schweren Folgen – persönlich wie für den Betrieb – und einem „Gerade noch mal gut gegangen“ nur ein paar Wimpernschläge liegen, sollte jeder Vorgesetzte sich gut überlegen, ob er auf klare Vorgaben und Vereinbarungen zum Cannabiskonsum in seinem Verantwortungsbereich verzichten möchte.