Kolumne "Professioneller Bauablauf" von Andreas Scheibe, 38. Folge VOB: Der gegnerische Anwalt "macht Sie platt"? So können sich Handwerksunternehmer erfolgreich wehren

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Auftragsabwicklung, Professioneller Bauablauf – Kolumne von Andreas Scheibe, Rechts- und Steuerberatung und Zielerreichung

Handwerker zittern wie Espenlaub, wenn Post vom Anwalt ins Haus flattert – manchmal auch zu Recht! Wenn man sich jedoch auskennt, dann ist der gegnerische Anwalt durchaus mal ein gern gesehener Gegenspieler. Viel braucht es dafür im Grunde nicht, nur Wissen und Schlagkraft muss sich ein Handwerksunternehmer aneignen. Das Ganze endet allerdings erst dann im Sieg, wenn man dabei eine wichtige Regel beachtet, wie Kolumnist Andreas Scheibe in der 38. Folge von „Professioneller Bauablauf” erklärt.

Kolumne „Professioneller Bauablauf“ Folge 38 von Andreas Scheibe
Nicht jeder gegnerische Anwalt muss für die Niederlage des Handwerkers sorgen. Beachtet man eine wichtige Regel, kann man eine Verhandlung auch für sich entscheiden. - © Kzenon - stock.adobe.com

Die folgende Geschichte ist eine leider bleibende Erinnerung meiner bisherigen Karriere. Ein Handwerker kam zu uns und nahm einige Monate an unserem Training teil. Er hörte zu, setzte um und schließlich verfiel er doch wieder in alte Muster. Muster wie: „Ach ich rede einfach mit denen, das passt schon...“

Es ging damals um einen nicht unerheblichen Nachtrag. Und irgendwann ging es dann auch um die Verhandlung von eben jenem. Schon viele Wochen zuvor hatten wir mit dem Handwerker zusammen alle notwendigen Papiere und Schritte erarbeitet, eingesendet und kommuniziert. Dann sollte der Tag kommen, an dem in einer großen Runde mit allen verantwortlichen Personen der Nachtrag final verhandelt würde. Alle waren müde, alle wollten ein Ergebnis. Doch genau an diesem Punkt ist dem Handwerker ein entscheidender Fehler unterlaufen. Obwohl er es eigentlich besser wusste, ignorierte er unsere Handlungsempfehlung und boxte sein eigenes Ding durch – und verlor! Und zwar auf gnadenlos peinliche Art und Weise.

Der gegnerische Anwalt kennt die Agenda – Handwerker sollten diese ebenfalls kennen!

Was war passiert? Einer unserer Grundsätze lautet: "Treffe Dich nicht zu Verhandlungen, wenn du die Agenda nicht kennst!" Was bedeutet das? Nicht in die Höhle des Löwen laufen, ohne zu wissen was genau passieren wird oder wie viele Löwen darin warten. Oder aber, wie gut diese den Handwerksunternehmer mit ihren Argumenten platt machen und entsprechend schnell fressen können. Ohne eine gute Schutzausrüstung und ausreichend "Waffen" zur Abwehr bzw. zum Angriff sind Handwerker stets ein willkommenes Opfer.

Der gegnerische Anwalt freut sich über drei verpasste Alarmstufen

Gemeinsam mit dem Handwerker haben wir in einem Call nochmal den Fall besprochen und ihn vorbereitet. Bis er sagte: „Naja, ich habe denen zwar einen Gegenvorschlag geschickt, aber eine Antwort habe ich keine erhalten.“ ALARMSTUFE 1. Wir wiederholten, warum es ein schwieriges Unterfangen für ihn werden könne, wenn er nicht wisse, wie die Gegenseite seinen Vorschlag behandele und möglicherweise einfach wegargumentiere. Er sagte zu sich und uns beruhigend: „Ach ich kenne die, das werden wir schon irgendwie bequatscht bekommen.“ ALARMSTUFE 2.

Als wir ihm erläuterten, warum es eine gefährliche Situation sei, zu denken, dass alles so einfach laufen würde, beteiligte sich plötzlich sogar seine Kalkulatorin mit den Worten: „Ich habe keine Ahnung, worauf ich mich vorbereiten soll! So bin ich nicht gestrickt. Ich muss wissen, was ich mir nochmal durchlesen muss. So ein Blindflug ist der Horror für mich!” ALARMSTUFE 3. Und doch ließ sich der Handwerksunternehmer nicht umstimmen. Er war fest davon überzeugt, das Kind schon irgendwie zu schaukeln.

Der gegnerische Anwalt sorgt für ein vermeidbares Desaster

Der Tag der Verhandlung kam und verging. Keine Nachricht. Im nächsten Call fragte ich dann schließlich nach und bekam folgende Geschichte zu hören – und zwar mit kleinlauter Stimme: „So ein Arsch! Die hatten einen Anwalt dabei und der hat mich vor versammelter Mannschaft auseinandergenommen. Ich wusste gar nicht, was ich sagen soll. Auch die Auftraggeber haben nichts gesagt, sondern nur gegrinst. Seit ein paar Tagen bin ich echt fertig deswegen. Das war so peinlich. Ich wusste mich überhaupt nicht zu wehren. Der hat alles wegargumentiert und mich "platt gemacht" ohne Ende. Das sitzt echt tief.“

Nun könnte man ja meinen: Wow, dieser Anwalt, was für ein Mistkerl! Aber nein, das Gegenteil ist der Fall. Der hat einfach einen exzellenten Job gemacht – für seine 300 Euro in der Stunde. Er hat unseren Handwerksunternehmer ins Messer laufen lassen und dann das Messer vor aller Augen auch noch mehrfach umgedreht, sodass alle zusehen konnten, wie unser Mann langsam verblutete. Und das nur, weil er nicht wusste was passieren würde. Denn durchaus hätte er all die Einwände des Anwalts (wir haben uns das im Nachhinein alles angeschaut) entkräften und der Wahrheit zuführen können. Aber mit der Einstellung „Passt schon!“ verliert ein jeder nicht nur einen Haufen Durchschlagskraft, sondern auch viel Geld.

Weniger Schmerzen, weniger Peinlichkeiten

Wir haben ihm das Geld schlussendlich doch zu 80 Prozent wieder geholt, aber es hätte mit wesentlich weniger Schmerzen und Peinlichkeiten vonstatten gehen können.

Über Autor Andreas Scheibe:
Andreas Scheibe
© Continu-ING GmbH

Andreas Scheibe hat selbst als Planer und Projektleiter in großen Firmen gearbeitet, später den väterlichen Handwerksbetrieb übernommen und umgekrempelt. Seine Erfahrung bezahlte er laut eigener Aussage mit viel „Schweiß und Blut“, aber auch viel Geld. Es entstand die Idee zum „professionellen Bauablauf“!

Mit der Continu-ING GmbH (lücken-im-lv.de) verfolgt er heute als Coach und Mentor eine Mission: Das Handwerk muss wieder für seine Leistung anerkannt und entsprechend vergütet werden. Schluss mit dem „Sozialhandwerker“, der sich nicht zu wehren weiß und auf Kosten sitzen bleibt. Vom Handwerker als Getriebener zum aktiven Projekttreiber. Wichtige Fragen sollen endlich geklärt werden: Was sind meine Rechte, was meine Pflichten? Wie sieht es mit den Pflichten anderer aus? Was kann und muss ich fordern, um störungsfrei arbeiten zu können? Wie gelingt der Sprung vom letzten, missachteten Glied im Bauablauf zu einer Position auf Augenhöhe mit Fachplaner und Auftraggeber? Andreas Scheibe möchte neue Sichtfelder für Handwerker eröffnen.

"Stark im Handwerk – das Buch für Handwerker im VOB-Projektgeschäft"

Im August 2021 ist das erste Buch "Stark im Handwerk" von Andreas Scheibe erschienen. Darin beweist der Experte, dass die in der VOB viel Potenzial und auch viel Geld für Handwerker steckt. Aus der Praxis weiß handwerk-magazin-Kolumnist Scheibe, dass das Bild, welches Auftraggeber, Architekten und Planungsbüros oft vom Handwerker haben, meist kein ruhmreiches ist. Zwar sind die ausführenden Firmen nach deutschen Standards sehr gut ausgebildet und wissen technisch bestens Bescheid, doch von einer Sache hat man Ihnen nichts erzählt: Welche Rechte sie haben! Und auch nicht, dass sie eigentlich und zuallererst auf Augenhöhe mit Auftraggeber und Fachplaner stehen. "Der Handwerker ist zwar der letzte in der Reihenfolge bezogen auf den Bauablauf, aber der letzte Depp ist er noch lange nicht", erklärt Andreas Scheibe.

In diesem Zusammenhang kommt der Autor in seinem Buch sowohl auf die Rechte und Pflichten eines Handwerkers als auch auf die Rechte und Pflichten der anderen Projektbeteiligten zu sprechen. Denn genau diese sind im Detail in der VOB geregelt. Die Formulierungen klingen jedoch oft kompliziert und die Anwendung ist daher auch sehr unbeliebt – zu Unrecht, wie der Autor findet. Das Buch von Andreas Scheibe weckt nicht nur Interesse für das Projektgeschäft, sondern auch für das Durchsetzen von Rechten und Einfordern von Pflichten, sowie den spielerischen Umgang mit Paragrafen. Das Ziel: Handwerk muss wieder Spaß machen, gerecht bezahlt werden und zu alter Stärke zurückfinden.

stark-im-handwerk.de

Neues Buch: "Der professionelle Bauablauf – Das Schritt-für-Schritt System um deine Liquidität nachhaltig zu sichern"

Im August 2023 erschien das bereits dritte Buch von Andreas Scheibe „Der professionelle Bauablauf“. In diesem Buch sind viele Jahre Erfahrung in der Durchführung und auch Beratung von hunderten Handwerksunternehmen eingeflossen. Daraus entstanden ist ein praxiserprobtes und sofort umsetzbares Schritt-für-Schritt System welches mehr Klarheit und Sicherheit im Bauablauf für Handwerker verspricht. In diesem Buch geht es um notwendige Fähigkeiten um standardisierte Ablaufpläne zu erstellen, hochprofitable Nachträge durchzusetzen und berechtigte Forderungen darzulegen, zu begründen und zu verhandeln.

In seinem Buch geht Andreas Scheibe auch auf die 47 häufigsten und teuersten Fehler in VOB-Projekten ein, und wie sich diese verhindern lassen. Am Ende geht es darum, einen standardisierten Schriftverkehr einzuführen und Projekte strukturiert und profitabel abzuwickeln. Und das nach den Spielregeln der VOB.

der-professionelle-bauablauf.de