Interview mit Prof. Dr. Birgit Ester Unternehmerfrau im Handwerk 2024: "Wir brauchen Frauen in Führung und als Unternehmerinnen"

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Arbeitszeit und Arbeitszeitmodelle, Elternzeit, Fachkräftemangel, Frauen im Handwerk, Mitarbeitermotivation und Wettbewerb: Unternehmerfrau im Handwerk

Birgit Ester ist Professorin und Leiterin des Instituts für Betriebsführung (ITB) im Deutschen Handwerksinstitut (DHI). Als Jurorin bestimmt sie mit, wer im Oktober zur „Unternehmerfrau im Handwerk 2024“ gekürt wird. Die Auszeichnung wird in zwei Kategorien vergeben: an eine Unternehmerin mit Geschäftsführungsbefugnis und an eine Heldin im Handwerk, ohne Geschäftsführerposten. Ein Gespräch über Frauen, ihre Rolle im Handwerk und den Wert von Ehrungen.

Prof. Dr. Birgit Ester, Leiterin des Instituts für Betriebsführung (ITB) im Deutschen Handwerksinstitut.
Prof. Dr. Birgit Ester, Leiterin des Instituts für Betriebsführung (ITB) im Deutschen Handwerksinstitut. - © Nico Eberle
Frauen sind heute eine Selbstverständlichkeit im Handwerk – auch außerhalb der Büros?

Prof. Birgit Ester: Ja, Zahlen des Zentralverbands des Deutschen Handwerks belegen das. 2022 wurde fast jede fünfte erfolgreiche Meisterprüfung von einer Frau absolviert. Jeder vierte Handwerksbetrieb wird von einer Frau geführt. Und über 74,3 Prozent der Handwerksbetriebe sind Familienbetriebe, die von einem (Ehe-)Paar gemeinsam geleitet werden. Das sind erfreuliche Zahlen. Das Entwicklungspotenzial von Frauen ist jedoch noch lange nicht ausgeschöpft.

Früher war die Rolle der Frauen anders. Was hat den Wandel bewirkt?

Früher waren Gesellschaft und auch das Handwerk stark von traditionellen Rollenbildern geprägt, die Frauen den Zugang zu vielen Bereichen erschwerten. Heute gibt es eine größere Akzeptanz und Gleichstellung, die es Frauen und Männern ermöglicht, jeden Beruf zu ergreifen, der ihnen spannend erscheint. Es entscheidet nicht das Geschlecht, es entscheiden der Wille und das Können.

In welchen Gewerken zeigt sich der Wandel am deutlichsten?

Am häufigsten wird von jungen Frauen unverändert der Friseurberuf gewählt. Aber es zeigt sich eine zunehmende Feminisierung etwa in Kraftfahrzeugmechatronik, bei Tischlern, Augenoptikern, Elektronikern, Malern oder Lackierern.

Warum sind es trotzdem noch deutlich weniger Frauen als Männer?

Es sind vor allem kulturelle, soziale und strukturelle Gründe. 70 Prozent der Gesellinnen verlassen den Betrieb nach der Ausbildung – bei den Männern kaum 50 Prozent. Weibliche Auszubildende haben bei der Gesellinnenprüfung eine ­bessere Erfolgsquote als männliche Prüf­linge. Diese erfolgreichen Frauen brauchen wir in Führungspositionen und als Unternehmerinnen.

Wie hat sich die Denke der Männer im Handwerk verändert?

Ganz einfach: analog zur Gesellschaft. Viele Männer im Handwerk sind offener gegenüber der Idee, Frauen in ihrem Arbeitsumfeld willkommen zu
heißen, erkennen den Wert von Diversität und sind bereit, traditionelle und veraltete Rollenbilder zu überdenken. Da steckt aber noch viel Potenzial. Hier setzt etwa die Kampagne #frauenkönnenhandwerk der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade an, die konkrete Hilfs­mittel zur Förderung von Frauen und ­Mädchen im Handwerk bereitstellt. Zum Beispiel, wie man veraltete Denkmuster und Klischees einfach entkräften kann.

Was sind die größten Herausforderungen für Unternehmerinnen und Mitarbeiterinnen im Handwerk?

Chancenungleichheit und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Notwendigkeit, sich in einer männlich dominierten Umgebung zu behaupten – Stichwort Vorurteile und Kultur. Nehmen wir das Beispiel der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ist ein Thema, das Frauen und Männer gleich angeht. Nicht nur große Industrieunternehmen, sondern auch kleine Betriebe im Handwerk nutzen zunehmend Möglichkeiten, mit einer familienorientierten Unternehmenskultur bei Fach- und Nachwuchskräften zu punkten. Das kommt bei den Beschäftigten gut an.

Warum ist es gut für einen Betrieb, Frauen zu beschäftigen?

Wer sich diese Frage noch stellt, ist unter Umständen bereits ins Hintertreffen um die besten Köpfe und Hände geraten. Wer Frauen einstellt, erweitert den Bewerberpool und kann qualifizierte Arbeitskräfte gewinnen, die sonst möglicherweise übersehen worden wären. Die Forschung wie auch die Verbände beobachten: Je mehr weibliche Führungskräfte im Handwerk aktiv sind, desto innovativer, effektiver und vielschichtiger gestaltet sich der Arbeitsalltag – und desto mehr Ertrag kann ein Unternehmen erwirtschaften. Die Anwesenheit von Frauen kann die Unternehmenskultur sowie das Arbeitsumfeld positiv beeinflussen, indem sie zu einer respektvolleren und ausgewogeneren Umgebung beiträgt. Das sind nur einige der Vorteile. Insgesamt zeigt die Forschung über alle Berufe hinweg, dass Teams, in denen Frauen und Männer zusammenarbeiten, erfolgreicher sind.

Was müssen die Betriebe bieten, um attraktiver zu werden?

Betriebe sollten einen fairen Umgang mit allen Mitarbeitenden pflegen und sich dabei selbst immer wieder kritisch reflektieren, soweit wie möglich persönliche Situationen berücksichtigen und flexible Arbeitszeiten anbieten, faire Bezahlung, klare Aufstiegschancen und eine Unternehmenskultur fördern, die Frauen ermutigt und unterstützt. Hilfreich sind auch Programme zur Förderung weiblicher Nachwuchskräfte. Die Haltung ist entscheidend: statt von „typischen“ Frauen- oder Männerberufen zu reden, sollte es nur noch darum gehen, ob der Beruf zum Individuum passt und es diesen ausüben will und kann. Wichtig ist auch, dass die Verbände diese Entwicklung unterstützen. Viele Handwerkskammern und Fachverbände bieten Handwerkerinnen spezielle Fortbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Trotzdem wollen auch wir Forschenden weiter unseren Beitrag leisten und neue Ideen zur Förderung handwerklicher Fähigkeiten in der Schule bis zur Förderung der Innovationstätigkeit von Frauen einbringen. Das sind Themen, die sich auf die Arbeitsgestaltung der Zukunft auswirken.

Ist die weibliche Komponente ein wichtiger Teil bei der Lösung des Fachkräftemangels?

Absolut. Indem Frauen verstärkt im Handwerk integriert werden, kann der Fachkräftemangel in vielen Branchen gelindert werden. Frauen sind oft hochmotiviert und qualifiziert, weil sie weiterhin den Willen und die Kraft aufbringen, gegen noch bestehende Vorurteile anzugehen und sich durchzusetzen. ­Diese Frauen sind daher meist besonders engagiert.

Wofür ist ein Award für Frauen im Handwerk gut?

Er hebt herausragende Leistungen von Frauen hervor und fördert Vorbilder und die Kommunikation über betriebliche Stärken und Schwächen bei der Einbindung von Frauen. Vorbilder sind wichtig bei der Berufswahl! Ein solcher Preis trägt zur Sichtbarkeit insgesamt bei und ermutigt andere Frauen, auch ihren Weg erfolgreich im Handwerk zu gehen.

Vita Prof. Dr. Birgit Ester

Die Professorin für Betriebswirtschaftslehre unterrichtet an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Karlsruhe. Sie ist ehemalige Leiterin des Supply Chain Managements bei dm drogeriemarkt und Mitglied im Regionsvorstand Pfalz/Rhein-Neckar im BME Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik – was auch ihre Schwerpunktthemen an der Hochschule sind. Zuvor war sie im Inhouse Consulting im Maschinenbau und in der Logistikplanung in einem Pharmazieunternehmen.

Unternehmerfrau im Handwerk 2024: Jetzt noch bis 15. Juli bewerben!

Alle zwei Jahre zeichnet handwerk magazin zwei Frauen im Handwerk für ihre Leistungen aus. Jetzt ist es wieder so weit: Wir suchen die Unternehmerfrau im Handwerk 2024. Der Preis ist mit jeweils 2.500 Euro dotiert und beinhaltet ein professionelles Video über die Gewinnerin und ihren Betrieb. Vergeben wird der Preis in zwei Kategorien:

  1. "Selbstständige Unternehmerin" - für Inhaberinnen und Geschäftsführerinnen

  2. "Heldin im Handwerk" - für mitarbeitende Partnerinnen oder Familienangehörige, wie beispielsweise Töchter in der Nachfolge

Inhaberin, Personalchefin, Buchhalterin, Marketingfrau und Familienmanagerin in einem. Frauen sind die Schaltzentrale des Unternehmens, der Ruhepol im Aktions- und Spannungsfeld von Meister und Familie, Mitarbeitern und Kunden.

handwerk magazin würdigt diese Leistungen, Erfolge, aber auch das Alltagsgeschäft der Frauen im Handwerk und macht sie einer breiten Öffentlichkeit bekannt.

Alle Informationen und der Link zur Online-Bewerbung finden Sie hier: